Die neue Trinkwasserrichtlinie setzt verstärkt auf Risikomanagement

Vorsorgliche Planungen und risikobasierte Ansätze spielen in der derzeitigen EG-Trinkwasserrichtlinie nur eine untergeordnete Rolle. Ihr Stellenwert soll in der geplanten Neufassung deutlich gestärkt werden. Das Risikomanagement in der Trinkwasserversorgung ist ein Instrument, das zum planvollen Umgang mit Risiken eingesetzt wird, um möglichen Beein-trächtigungen der Versorgungssicherheit vorzubeugen.

Die Neufassung der EG-Trinkwasserrichtlinie ist bereits sehr weitgehend vorbereitet und soll bei Einhaltung des vorgesehenen Zeitplans im Laufe des Jahres 2020 in Kraft treten. Bei der Trilog-Verhandlung am 18.12.2019 konnte eine vorläufige Einigung zur neuen Trinkwasserrichtlinie erzielt werden. Mittlerweile wurde der Text auch vom Ständigen Ausschuss der Mitgliedsstaaten sowie dem Umweltausschuss des Europäischen Parlaments sowie vom Europäischen Rat angenommen.

Welche Änderungen die neue EG-Trinkwasserrichtlinie bringen könnte

Neben Änderungen, die sich beispielsweise auf Vorgaben zu Materialien im Kontakt mit Trinkwasser und Regelungen für einige chemische Parameter beziehen, enthält der Entwurf der neuen Richtlinie umfangreiche Neuerungen zum Risikomanagement in der Trinkwasserversorgung:

  • Künftig haben die Mitgliedsstaaten dafür Sorge zu tragen, dass für die gesamte Prozesskette der Wasserversorgung vom Einzugsgebiet über Gewinnung, Aufbereitung, Speicherung und Verteilung bis zur Übergabestelle an den Verbraucher, eine Risikoabschätzung sowie ein Risikomanagement durchgeführt werden.
  • Die Wasserversorgungsunternehmen (WVU) sind ausdrücklich als Verantwortliche für die Erarbeitung des Risikomanagements für das Versorgungssystem ab der Rohwassergewinnung benannt.
  • Die Mitgliedsstaaten sollen dafür Sorge tragen, dass auch für das Einzugsgebiet und die Hausanschlüsse ein Risikomanagement erstellt wird, ohne dass in der Richtlinie bereits festgelegt wird, wer für die Umsetzung zuständig ist. Diese Entscheidung muss demnach von den Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung in nationales Recht getroffen werden.

In Bezug auf das Einzugsgebiet offenbart sich dabei ein lange bekanntes Dilemma. Obwohl Einträge „von außen“ hier am wahrscheinlichsten sind und ein vorbeugender Schutz der Ressourcen daher im ureigenen Interesse der Wasserversorger liegt, ist ihr Handlungsspielraum beim Risikomanagement gerade hier begrenzt. Einerseits haben die Versorger zwar die Möglichkeit, die Auslöser und Gefährdungen in ihren Einzugsgebieten zu erfassen und zu bewerten. Andererseits sind ihre Handlungsmöglichkeiten bei der Risikobeherrschung jedoch meist passiver Art, da sie in der Regel nicht über flächenmäßig nennenswerten Grundbesitz in den Wasserschutzgebieten (WSG) verfügen. Oft bleibt den Versorgern nur die Mitwirkung bei der WSG-Überwachung und das Monitoring im Vorfeld der Fassungen. Ansatzpunkte für aktive eigene, unmittelbare (etwa technische) Maßnahmen zur präventiven Risikobeherrschung sind rar (Sturm et al. 2015). Eine gemeinsame Zuständigkeit von WVU und Wasserbehörden für das koordinierte und zielgerichtete Risikomanagement im Einzugsgebiet könnte hier zu bedeutenden Vorteilen führen.

Fundierte und praxiserprobte Methodik zum Risikomanagement

Das TZW beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Risikomanagement. Dabei wurden praxistaugliche methodische Ansätze zur Risikoabschätzung erfolgreich entwickelt und etabliert. In vielen Praxisarbeiten und Forschungsprojekten wurden Erfahrungen gesammelt, wie diese Ansätze in der gesamten Prozesskette der Wasserversorgung umgesetzt werden können. Bei der Praxisarbeit werden international anerkannte Standards wie die DIN EN 15975-2 einbezogen, sodass bereits jetzt die kommenden Anforderungen der neuen Trinkwasserrichtlinie erfüllt werden. Die Vorgehensweise und der Detailgrad können flexibel an die spezifischen Erfordernisse des Wasserversorgers angepasst werden.

Für die Bewertung der Wassereinzugsgebiete von Talsperren und von Grundwasserressourcen hat das TZW eine Methodik entwickelt, die die standörtlichen Gegebenheiten berücksichtigt. Diese Methode hat sich mittlerweile in zahlreichen Projekten zu Grund- und Oberflächenwasserressourcen bewährt. Die Risikoabschätzung für das Einzugsgebiet erfolgt dabei zweistufig:

Schritt 1: Für alle aktuellen Nutzungen und Handlungen als Auslöser von Risiken wird anhand von Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit zunächst ein lageunabhängiges Ausgangsrisiko ermittelt.

Schritt 2: Die flächenbezogene Vulnerabilität (Verschmutzungsempfindlichkeit) wird in Abhängigkeit von Gebiets- und Standorteigenschaften beurteilt. Die Vulnerabilität ist bei Grundwasserressourcen ein Maß dafür, wie stark möglicherweise auftretende Gefährdungen durch den Schutz der Deckschichten sowie den Transport im Grundwasser abgemildert werden. Bei der Oberflächenwassernutzung ist sie vor allem ein Maß für den Anteil schneller Abflusskomponenten, die weitestgehend unbeeinflusst die Rohwasserressource erreichen können.

Durch die Kombination der Faktoren Ausgangsrisiko und Vulnerabilität kann für alle erfassten Auslöser lageabhängig spezifisch ermittelt werden, ob sie signifikante Risiken für die Wasserversorgung darstellen. Diese Vorgehensweise wird mit Geographischen Informationssystemen (GIS) umgesetzt, sodass ein Raumbezug der Daten erhalten bleibt. Dieser ist für die Bewertung und Beherrschung von Risiken im Einzugsgebiet unabdingbar.

Die Ergebnisse der Risikobewertung zeigen auf, ob Handlungsbedarf zur Beherrschung der Risiken im Einzugsgebiet besteht und ob die bereits bestehenden Maßnahmen zur Risikobeherrschung angepasst oder optimiert werden sollten. Das TZW unterstützt Wasserversorgungsunternehmen beim Aufbau eines solchen Risikomanagementsystems und steht bei der Umsetzung und Einführung beratend zur Seite.

Projekte

Risikomanagement für Wasserschutzgebiete von Grundwasserfassungen
Trinkwasserversorgung in prosperierendenen Wassermangelregionen (TRUST)
Water Safety Plan Konzept

Literatur

Sturm, S.; Kiefer, J.; Wehle, E.: Handeln ohne Handlungsspielraum! Eine neue Betrachtung für Wasserversorger zur Risikobeherrschung im Einzugsgebiet von Trinkwasserressourcen. DVGW energie|wasser-praxis 02/2015, 62-69 (2015)

DIN EN 15975-2: Sicherheit der Trinkwasserversorgung - Leitlinien für das Risiko- und Krisenmanagement - Teil 2: Risikomanagement (2013-12)

DVGW: Merkblatt W 1001-B2: Beiblatt 2: Risikomanagement für Einzugsgebiete von Grundwasserfassungen zur Trinkwassergewinnung (2015-03)

Brauer, F.; Sturm. S.; Kaupe, M.; Schiffmann, S.: Mehrwert des Risikomanagements für den Wasserversorger. DVGW energie/wasser-praxis 12/2019, 53-55 (2019)

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